Haarmann
„Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu
dir…“
Klappentext
Psychologisch raffiniert und extrem fesselnd inszeniert Dirk
Kurbjuweit den spektakulären Serienmord der deutschen Kriminalgeschichte und
ergründet zugleich die dunkle Seite der wilden 1920er-Jahre. „Haarmann“ führt
in ein Zeitalter der traumatisierten Seelen, der politischen Verrohung, der
moralischen Verkommenheit. So wird aus dem pathologischen Einzelfall ein
historisches Lehrstück über menschliche Abgründe.
Übersicht
Autor: Dirk Kurbjuweit
Verlag: Penguin
Sprache: Deutsch
Seiten: 316
ISBN: 978-3-328-60084-8
Genre: Kriminalroman
Reihe: Nein
Rezension
Hannover in den 1920er Jahren, die Menschen sind zunehmend
beindruckt durch das Verschwinden von Jungen in der Stadt. Sind sie wirklich
zur Fremdenlegion gegangen wie einige behaupten oder wurden sie wirklich ermordet?
In den Wirren der Nachkriegszeit, die geprägt ist von Armut, Arbeitslosigkeit,
der Heimkehr traumatisierter Soldaten, den Einschränkungen durch den Vertrag von
Versailles und den schwierigen politischen Verhältnissen haben ein paar verschwunden Jungen für viel Polizisten
keine Priorität. Doch als die Fälle anfangen sich zu häufen wird der Kommissar
Lahnstein aus dem Rheinland nach Hannover geholt und mit der Leitung der
Ermittlungen beauftragt.
Von den Goldenen Zwanzigern, den Roaring Twenties ist in Hannover
nicht viel zu spüren. Lahnstein hat nicht nur mit dem Personalmangel bei der Polizei
zu kämpfen. Auch die politischen Grenzen die quer durch die gesamte Gesellschaft
verlaufen und vor der Polizei nicht halt machen, machen ihm die Arbeit schwer.
Nicht wenige Polizisten sind Sympathisanten oder Mitglieder der aufstrebenden
NSDAP, andere wie Lahnstein gehören der SPD an, manche verteidigen die
Prinzipien der Republik, andere wünschen sich den Kaiser zurück und jeder
misstraut den Motiven der anderen.
Während Lahnstein versucht sich durch diesen Flickenteppich
zu manövrieren, werden weiter Jungen ermordet. Als Lahnstein beginnt Fritz
Haarmann zu verdächtigen werden ihm zunehmend Steine in den Weg gelegt.
Versucht jemand innerhalb der Polizei Haarmann zu decken?
Auch Lahnstein weiß nicht mehr wem er trauen kann.
Der Schreibstil des Autoren ist sehr nüchtern, distanziert
und zeichnet sich durch viele kurze Sätze aus, die in ihrer Knappheit manchmal
an ein Sachbuch erinnern. Der Einstieg in das Buch kann dadurch schwer fallen,
doch letztendlich ist es genau dieser, für einen Kriminalroman, sehr
ungewöhnliche Schreibstil, der den Leser fesselt.
Protagonist ist der Kommissar Robert Lahnstein. Als Pilot im
Ersten Weltkrieg konnte Lahnstein seine Leidenschaft für das Fliegen ausleben, doch
besonders erfolgreich war er nicht. Wann immer Lahnstein nach der Zahl seiner
Abschüsse gefragt wird lügt er und nennt stets eine etwas höhere Zahl. Da die erfolgreichsten
Piloten, allen voran Manfred von Richthofen, namentlich bekannt und berühmt
sind, muss er dabei immer aufpassen um nicht als Lügner enttarnt zu werden.
Lahnstein wurde schließlich selber abgeschossen und geriet in britische
Kriegsgefangenschaft. Die Zeit im Lager hat er als sehr schwierig empfunden.
Getrennt von seiner jungen Frau und dem kleinen Sohn macht er sich nicht nur Sorgen
um seine Ehe. Auch die schwierigen Lebensverhältnisse im Lager und die Beziehungen
zu den anderen Gefangen machen im zu schaffen. Lahnstein sammelt auch Homosexuelle
Erfahrungen, die ihm sehr zu schaffen machen. Er weiß nicht mehr wo er steht.
Ist es richtig, dass Homosexuelle Handlungen unter Strafe stehen? Oder sollte
er sich für eine Veränderungen einsetzen? Die Mehrheit der Soldaten hält nach
wie vor treu zum Kaiser, doch Lahnstein hat sich mittlerweile der SPD angeschlossen.
Die Stimmung wird zunehmend feindseliger. Besonders das Ende des Krieges und
die Abdankung des Kaisers erschüttert alle.
Traumatisiert kehrt Lahnstein aus dem Krieg zurück, in der Hoffnung
endlich Frieden bei seiner Familie zu finden. Doch die Entdeckungen, die er
macht ist so schrecklich, dass er mit niemanden darüber sprechen kann.
Lahnstein ist großer Anhänger der Republik, doch seine Erfahrungen
im Krieg machen es ihm sehr schwer sich in die neue Gesellschaft einzufügen. Er
ist ein hervorragender Ermittler, aber die Zusammenarbeit mit Kollegen fällt
ihm sehr schwer. Lahnstein vermutet überall NSDAP Anhänger und Feinde der
Republik, Verfolger von Homosexuellen und Menschen die ihn aufgrund seiner
geringen Anzahl von Abschüssen für unzureichend halten.
Aber auch seine Hannoveraner Kollegen misstrauen den Neuen,
Fremden, von dem niemand weiß wo er steht.
Zusätzlich setzt er sich selbst unter großen Druck, weil er
eine persönlichen Verantwortungen gegenüber den Jungen und ihren Eltern
verspürt.
Heimlicher Protagonist ist der berühmte Hannoveraner
Serienmörder Fritz Haarmann. Das Buch ist sehr gut recherchiert und vollzieht
die realen Ereignisse rund um dessen Mordserie geschickt nach.
Fazit
Haarmann ist kein typischer Krimi und hat mir genau deswegen
wirklich gut gefallen. Wie die Ermittlungen ausgehen und wer der Mörder ist,
sind schließlich keine Geheimnisse. Auch die vielen Details rund um die Morde
sind längst bekannt.
Keine normale Ausgangssituation für einen Krimi.
Haarmann konzentriert sich deshalb auch nicht nur auf die
Lösung des Falles, sondern auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in den
1920ern, die politische Lage und die Figur des Robert Lahnstein, der
stellvertretend für viele der Gegensätze, Spannungen und Entwicklungen dieser
Zeit steht. Auch die Motive und der Hintergrund von Fritz Haarmann nehmen einen
großen Platz ein. In vielerlei Hinsicht ist Haarmann ein gesellschaftliches
Porträt der 1920er Jahre und ein psychologisches Porträt von Fritz Haarmann.
Einen großen Raum nimmt §175 des deutschen Strafgesetzbuches
ein, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt. Der Autor führt den Leser
in das Milieu der 175er ein. Der schwulen Männer, die sich auch bei einvernehmlichem
Sex nicht nur der gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzt sehen, sondern sich
auch noch strafbar machen.
Wer möchte kann aus der Geschichte auch Parallelen zur
heutigen Zeit ziehen. Bisweilen drängen sich diese sogar auf.
In 100 Jahren hat sich viel verändert, wir haben als
Menschheit viel erreicht, aber wir haben viele Probleme immer noch nicht
überwunden und hinter uns gelassen.
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